Incomplete Harmony wurde im Juni 2013 von Shang-Chi Sun für das Osnabrücker Tanzensemble kreiert und ist seitdem im Repertoire des Ensembles. Darin geht es ihm um den Zustand der Stille und die durch Stille ausgelösten Bilder und Wahrnehmungen. Shang-Chi Sun verbindet damit Erinnerungen an seine Kindheit in den 80er Jahren in Taiwan: „Ich liebe die Stille. Sie bringt mich zum Fantasieren und Träumen. Wenn ich an Stille denke, entwerfe ich unterbewusst schwarze und weiße Bilder. Als ich klein war, spielte meine Mutter in Stummfilmen. Ich musste auf einer Bank sitzen und auf sie warten bis sie ihre Arbeit beendet hatte. Da gab es viel Wartezeit und für meinen Geist und meine Sinne viel an Eindrücken zu verarbeiten. Alles war lebendig für mich. Auch alle Arten von bruchstückhaften Melodien rührten mich, selbst wenn es nur Einzeltöne und Geräusche von Kratzern waren. Auch heute noch kann ich durch meine Augen die farbige Wirklichkeit in schwarze und weiße Bilder umsetzen. Schwarz und Weiß machen jede Aktion und Bewegung signifikant und bedeutend. In Incomplete Harmony geht es um diese Signifikanz. Ich schaue die Tänzer als Menschen an und ‚befreie’ sie davon, sich zur Musik zu bewegen. Stille ist für mich ein fundamentales Mittel der Choreografie.“
Presse
„Mit Shang-Chi Sun hat Osnabrücks Tanzchef Mauro de Candia einen jungen zeitgenössischen Choreografen eingeladen, der auf scharfe Kontraste sowie auf starke Tänzerpersönlichkeiten setzt. Das zeigte die gefeierte Uraufführung seines Tanzstücks Incomplete Harmony, einer Collage aus (Kindheits-)Erinnerungen. […] Plötzlich ist man staunend gefangen genommen von diesem heiter-melancholischen Mosaik aus Erinnerungsfetzen – wie in einem verwirrend schönen Traum, der auch Stunden nach dem ‚Aufwachen’ noch innerlich bewegen wird. Atmung, Laute – gezischt, gesummt oder geschrien – und Schritte, ob als Solo, im Duett, Trio oder Ensemble ausgeführt, geben nun den Rhythmus, die Dramaturgie (Patricia Stöckemann), vor. […] In einer Mischung aus Mini-Hommage an Pina Bauschs Kontakthof und Heidi-Klum-Modelshow-Persiflage kehrt dabei der hohe ‚Lebenslauf’-Schuh immer wieder auf der ansonsten nur von ein paar weißen Stühlen und einem Tisch bestückten Bühne auf. Von humorvoll, verspielt, anrührend bis albtraumhaft lässt Shang-Chi Sun […] die zehn Tänzer als unterschiedliche Charakterköpfe glänzen. Vor allem beweist diesmal Vasna Felicia Aguilar ihre variationsreiche Ausdrucksstärke: unnahbar als Diva auf High Heels; gewitzt mit ihrer ‚mechanischen’ Model-Schwester im Geiste Christina Bauer; keck und kratzbürstig im virtuosen, tierischen ‚Sandkasten’-Trio mit Etienne Aweh und Christopher Havner sowie ergreifend verzweifelt in einem Albtraum vom Erstickungstod. Zum Schluss raubt ein Duett über Abhängigkeit und den schmalen Grat zwischen Vertrauen und Missbrauch desselben noch einmal den Atem: Etienne Aweh zieht mit der einen Hand an Saori Andos langem Zopf, während sie sich in die Drehung zurückfallen lässt. Mit der anderen hat er nicht nur ihre Hand, sondern auch ihr Schicksal im Griff. Schließlich rollt sie sich, immer noch in Zeitlupe, selbstständig am Körper ihres aufrecht stehenden Partners hoch: ein fulminantes tänzerisches Finale eines Abends mit faszinierend schrägem Charme".
Neue OsnabrĂĽcker Zeitung, 3.6.2013
Credits
Choreography Shang-Chi Sun
Choreography collaborator Ross Martinson
Set/Costumes/Light Shang-Chi Sun
Dramaturgy Patricia Stöckemann
Assistent for choreograph and dance training Miroslaw Zydowicz
With Vasna Aguilar, Saori Ando, Chris Bauer, Liat Gabay , Noemi Emanuela Martone, Etienne Aweh, Valentin Braun, Gustavo Gomes, Christopher Havner, Amadeus Marek Pawlica
24. September 2013 | Incomplete Harmony | Emma-Theater, Osnabrück (D)
30. August 2013 | Incomplete Harmony | Theater Osnabrück (D)
Pictures
Video
Trailer Incomplete Harmony